25.02. – 21.03.2021

Rolf Viva (1949-2020) war ein führender Vertreter der konkreten Kunst und der Land Art in der deutsch-französischen Kunstszene.

Neben seiner Praxis als bildender Künstler war Viva ein renommierter Kunsttheoretiker. Als langjähriger Dozent an der Europäischen Kunstakademie in Trier, hat er seine theoretischen Überlegungen regelmäßig in Vorträgen präsentiert und mit den Studierenden geteilt.

Unter dem Titel „Im Gedenken – En mémoire Rolf Viva“ entstand eine virtuelle Ausstellung, die eine Installation von Rolf Viva simuliert und erlebbar macht.

Dazu ist eine Publikation gestaltet worden, die das künstlerische Schaffen von Rolf Viva von 1988 bis 2018 aufzeigt – der Katalog „Rolf Viva Im Grenzraum – Dans l’espace frontalier“ ist sowohl in gedruckter wie digitaler Form erhältlich.

White – Zwischen Schein und Sein, 2011, 15 x 47 cm
Ein anderes immer III, 2009, Acryl auf Leinwand und Holz, 99 x 81 x 6 cm
Modell für Ausstellung II, 2017
Modell für Ausstellung III, 2017
Frari, 2006, Acryl auf Holz, Leuchtstoffröhren, 400 x 340 cm
Rolf Viva in seinem Atelier, 2012

Im Gedenken – Rolf Viva

Am 9. April 2020 ist der Künstler und Pädagoge Rolf Viva nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. Er war von 1985 bis zu seinem Tode Dozent an der Europäischen Kunstakademie und hoch angesehen und geschätzt unter der Dozentenschaft und den Mitarbeitenden, den Studierenden sowie den Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, am 15. Mai 1949, im „autonomen“ Saarland als Rolf W. Schmidt geboren und dort aufgewachsen, studierte er in den 1970er Jahren an den Universitäten Mannheim, Heidelberg und Speyer Soziologie und Psychologie. Anschließend, nach einem Studienaufenthalt an der Hochschule der Künste in West-Berlin, 1979-1980, war er ab 1981 freischaffend als Künstler mit Projekten und Aktionen vor allem in Deutschland und Frankreich aktiv.

In Trier beteiligte er sich an künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum („Über den Fluss und weiter…“, 1998/99; Landesgartenschau 2004; „Mosel km 193“, 2015), am Festival für digitale Kunst „Rausch“, 2014 und in einer Einzelausstellung 2006 in der Kunsthalle Trier.

Als Dozent prägte er über zwei Jahrzehnte die künstlerische und theoretische Lehre an der Europäischen Kunstakademie. Er unterrichtete im berufsbegleitenden Kunststudium und führte vielfältige Malereikurse durch (etwa „Grundlagen der Bildkomposition“; „AbstrAKTion – Aktmalerei und Abstraktion“; „Wege zum besseren Bild“ oder „Freie Malerei und freie Komposition“ u.v.a.).

Die Europäische Kunstakademie und ihre Angehörigen werden ihren wertvollen Kollegen, Künstler und Dozenten Rolf Viva stets in bleibender Erinnerung behalten. Die Publikation „Rolf Viva Im Grenzraum ­– Dans l’espace frontalier“ ist ein Beitrag, seiner zu gedenken und sein künstlerisches Oeuvre zu präsentieren.

Herzlich möchte ich mich bei seinen Söhnen, Gabriel und Rafael-Florian Helfenstein, für die Möglichkeit danken, die hier gezeigten Werke publizieren zu können. Für die finanzielle Unterstützung gilt dem Amt für Kultur der Stadt Trier einen besonderen Dank.

Simon Santschi

Leiter der Europäischen Kunstakademie

Zur Zweiheit in der Einheit: Mimalistisch-komplexe Bildkonzepte von Rolf Viva im Wandel der Zeiten

Von Dr. Marina Linares

Das Lebenswerk von Rolf Viva umfasst Bildkunst und kunsttheoretische Texte. Innerhalb von vier Jahrzehnten sind Arbeiten verschiedener Techniken, Materialien und Medien entstanden: von Malerei bis Assemblage und Materialbild, von Objektkunst bis Rauminstallation und Land Art, letztlich zu Aktionen prozessualer Konzepte sowie Fotografie. Augenfällig ist eine formale Prägnanz, die gedankliche Verdichtung in einem durchgehenden Konzept, das trotz aller gestalterischen Variationen und medialen Transformationen in jenen Werken zu sehen ist.

Als reduktionistisch können bereits Vivas frühe Malereien und Mischtechniken aufgrund ihrer wenigen abstrakten Formen und Flächen in Grundfarben bezeichnet werden. Der konstruktivistischen Tradition entgegen steht hier der lebendige, flammenartige Duktus: Die Bildfläche scheint in warmen Tönen Rot, Gelb und Schwarz, vielschichtig aufgetragen, zu pulsieren. Zudem verweisen Titel wie Ganymed (1900) oder Im Vorhof (1900) auf Referenzen, die, über reinen Formalismus hinausgehend, in chiffrehaften Andeutungen verborgen sind.

Bereits jene Arbeiten weisen für das Œuvre grundlegende Prinzipien auf: Bildideen mit wenigen einfachen, symbolhaften Elementen; anfangs fast an Art Brut oder Arte Povera erinnernd, dann zunehmend bewusst konstruierte räumliche Strukturen bis zu designten Objekt-Bildern. Die Werke sind geprägt von einer minimalistischen Bildsprache, von der Konzentration auf das Wesentliche und Wesenhafte: Form – Farbe, Material – Medium, Bildkomposition – Raumkonzept. Charakteristisch ist die Neigung zum Konstrukt und zum Kontrast, die Spannung zwischen Divergentem und dessen harmonisch-gleichgewichtige Verbindung zu einer Einheit.

Die Dualismen der Substanzen Holz und Kohle in zwei Kästen mit dem Titel Mutter und Kind (1992) oder der Wand-/Bodeninstallation Feuer mit Kohle, Asche und Holz (1993) erinnert an minimalistische Kunst, insbesondere an Carl Andres Materialkombinationen. Nach Werner Lippert rekurrieren jene auf Kasimir Malewitsch und Marcel Duchamp, auf die Urform und das Objekt, während Viva über Formalismus und Funktionalismus hinaus eine weitere Bedeutungsebene anspricht, die an das alchemistische Materialkonzept von Joseph Beuys erinnert.

Kohle hat im Grenzgebiet Saarland und Lothringen, wo das ’schwarze Gold‘ lange Zeit bis zum Zechensterben der letzten Jahrzehnte abgebaut wurde, politische und soziale, ökonomische und ökologische Bedeutung. Viva stellt mit Kohle aus seiner Region einen Bezug zur Lebenswelt her (z.B. Bohrende Fragen, 1990; Kohlelinie, 1993); zugleich stellt er, Kohle mit anderen Substanzen kombinierend, einen Kreislauf zwischen Natur und Kultur dar, einen „geronnenen Lebenszyklus“ vom Entstehen bis zum Vergehen: Pflanzen und Tiere – Erde und Gestein – Licht und Energie – Feuer und Asche.

So wie der Künstler Simultankontraste in seinen Schriften und in seinem Spätwerk thematisiert, zeichnet sich die Serie Reflexion der 1990er Jahre durch Polaritäten in Gestalt und Konzept aus; sie visualisiert Dualismen von Organischem/Anorganischem, Stofflichem/Immateriellem, von Tag/Nacht, Leben/Tod sowie Wachstum/Zerstörung. Vergänglich sind die Projekte mit projiziertem Licht wie Quadratische Sonne (1993), die das Situativ-Visuelle gegenüber dem Statisch-Materiellen betonen.

Der Vorgang der Verwandlung wird in Verbrennungsaktionen wie Feuer, festgehalten in einer Fotoserie von 1900, oder in Feuerlinie (1995), einer schmalen Barke mit brennender Kohle auf einem Gewässer, symbolisiert und zugleich konkretisiert. Der Urstoff Kohle steht so mit den vier Elementen in Verbindung und zeigt alle Formen des Stofflichen vom Festen bis zur Auflösung. Viva macht Land Art-Projekte und nutzt Realien im Naturraum zur Realsierung von Transformationen, nutzt in Neon im Baum (2002) oder Tor zum Wald (2002) den Naturraum als Bühne für Lichtinstallationen.

Kohle, Feuer, Grenzkonflikte und -überwindung: Auch der Fluss ist Symbol, für das Fließende, für Wandlung und Übergang, für das Trennende und Verbindende. Im Projekt der Kunstakademie Trier Über den Fluss und weiter… postiert Viva 1998 im Dreieck angeordnete Rundhölzer an beiden Moselufern und bildet so eine imaginäre Brücke. Die Arbeit ist einem Thema zuzuordnen, das der Künstler in Land Art, Objekten, Installationen und Materialbildern gestaltet: Die Grenze – weniger als das Definierende als das Dazwischen, reflektiert als Zone zwischen zwei Sphären:

„Die Grenze ist der Ort, in dem das Eine nicht mehr das Eine sein kann, aber noch nicht das Andere geworden ist. Sie ist der Ort, in dem das Eine sich selbst zur Disposition stellt und die Möglichkeit, das Andere zu werden, antizipiert.“ (Rolf Viva)

Bereits die Assemblagen Feuerschneise (1991) oder Sacra Conversacione (1990) belegen, dass Viva dem Zwischenraum mehr Gewicht verleiht als den Außenzonen. Stärker noch ist diese Tendenz in den Materialbildern ab 1998 erkennbar, in den farbig gestalteten Reliefs und Objekten, die aus monochrom bemalten Flächenteilen und dreidimensionalen Segmenten kombiniert sind: In Kompositionen wie Grenze (2002), Lichträume (2007) oder Ausgreifend (2008) fungiert der Binnenteil zunehmend als Verbindendes und Durchdringendes, hebt optisch die Abgrenzung auf.

Trotz oder gerade wegen der minimalistischen Anlage wirken einige Werke wie Kippfiguren, adaptieren Prinzipien der Op Art. Grundlegend im Werk ist das Vereinen von Gegensätzen: Reduzierten stereometrischen Grundformen seriell angeordneter Objekte oder kleinteiliger Texturen stehen komplexe Kompositionen im Raum gegenüber; Materialität und Visualität, Haptik und Optik verbinden Vivas Bildkonzepte physikalischer und philosophischer Reflexionen – Reales und Imaginäres, Konkretion und Transformation finden dialektisch zur Einheit.

Bohrende Fragen, 1990, Bohrkerne, Kohle, Holz, 278 x 121 cm
Luftlinie, 1990, Kohle, Zwirn, Kupferstäbe, Holz, 204 x 11 x 298 cm
Quadratische Sonne, 1991, projeziertes Sonnenlicht
Neon im Baum, 2002, Neonröhren, Installation, 151 x 151 cm
Installation, 2015, Projekt "Mosel km 193", Trier, Moselufer
Rolf Viva in den 1970er Jahren

Rolf Viva – Versuchen zu sehen

Von Gabriel Helfenstein

Eine Grenze ist eine Mauer. Es ist auch ein Durchgang. In Deutschland geboren, aber nach Frankreich ausgewandert, lebte Rolf Viva immer zwischen zwei Welten. Als Vater französischer Söhne, aber Sohn deutscher Soldaten, erbte er eine sich ständig verändernde nationale Identität in einer Region mit tausend Namen. Die Mosel, die Saar, der Warndt – so viele Wörter, um ein Territorium zu definieren, das von Krieg und Kohle geprägt wurde. Vom Faschismus geraubte Liebhaber. An der Front gefallene Kinder. Andere, für die Grubengas zum Verhängnis wurde. Dies ist das Land, das Viva mit seinem schwarzen Blut genährt hat.

Rolf Viva wurde 1949 in Dudweiler geboren, ein deutsches Dorf in der Nähe der französischen Grenze. Dementsprechend erlebte er die deutsch-französische Geschichte nicht nur als physische Realität: er war auch ein aktiver Teil der unerbittlichen Verdauung der Zeit – von seiner Kindheit in der Nachkriegszeit über die gescheiterten Revolutionen der 1960er Jahre bis hin zur modernen Welt: ihre Konflikte, ihre Widersprüche, ihre Wut.

Viele seiner Kataloge tragen den Namen “Grenze”, und das aus gutem Grund: in Vivas Werk ist die Grenze nicht nur eine geopolitische Referenz, sie ist die Essenz seiner Kunst. Die Grenze zwischen den Phänomenen des Sichtbaren. Zwischen der Illusion der Farbe und dem Objekt im Raum. Zwischen dem Realen und dem Simulierten. Zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart und ihren unterschiedlichen Artefakten: Holz, Kohle, Asche. Zwischen zwei Geschwindigkeiten. Diejenige der Menschen, ihrer Kriege und ihrer erbärmlichen Grenzen, und die der Materie: die in der Erde gefangene Zeit, verewigt durch das Feuer.

Rolf Viva hat sein ganzes Leben lang gesammelt: Objekte, Beziehungen, Eindrücke. Er betrachtete den Akt des Sammelns als einen Gründungsakt, der untrennbar mit dem Leben eines Künstlers verbunden ist. Für ihn ging es nicht darum, Objekte anzuhäufen, sondern der Welt ihren Lügenschleier zu entreißen, indem er Verbindungen, Verknüpfungen, unsichtbare Arterien aufzudecken versuchte. Viva dachte, dass jeder Künstler auch ein Sammler sein muss.

In mehr als 70 Jahren hat er eine Vielzahl von Dingen gesammelt: Modellzüge, Kitschige Gegenstände, Besen, seine Haare und vieles mehr. Sammeln ist hier nicht nur als ein reines Hobby zu verstehen, sondern als ein Spiegelbild der Faszination für das Leben eine Notwendigkeit für das künstlerische Schaffen, denn jede Schöpfung ist immer auch ein Abbild der Menschengeschichte. Und bevor Sie produzierte, hat die Menschheit gesammelt.

Rolf Viva glaubte, der Akt des Sammelns mache ihn zum Menschen: eine Voraussetzung, wenn man den Anspruch hat Künstler zu sein. Sehen, finden, aufbewahren, kategorisieren … Es gibt keine Welt, wenn wir ihr keinen Namen geben. Und woher kommt der Name der Welt, wenn nicht aus unserer Fähigkeit, ihre Verben zu sammeln?

Neben seiner Tätigkeit als Künstler und Sammler war Rolf Viva immer auch – oder vor allem – ein Theoretiker. Seine Analyse kreativer Konzepte hat er in Essays, mit seinen Studenten an verschiedenen Schulen wie die Europäische Kunstakademie in Trier oder die Akademie Faber-Castell in Nürnberg geteilt.

Rolf Viva hat den Weg zur Kunst erst spät gefunden. Bis zum Alter von 30 Jahren war er Soziologe, spezialisiert auf die Studie der Massen. Und sowie er damals versuchte, die Mechanismen zu verstehen, die menschliche Interaktionen steuern, widmete er seine Karriere als Künstler und Denker der Autopsie der Phänomene, die das Sichtbare regieren.

Warum verändert sich die Wirkung einer Farbe, wenn man sie neben eine andere stellt? Warum scheinen zwei nebeneinander liegende Formen unterschiedlich groß zu sein, wenn sie identisch sind? Welches Verhältnis besteht zwischen dem Raum und seiner Abwesenheit?

Ob in seinen Werken oder in seinen theoretischen Texten, hat Viva immer versucht, die geheimnisvollen Gesetze aufzudecken, denen unserer Blick auf die Welt unterliegt. Er wollte uns helfen zu verstehen, wie wir sehen.

In den letzten Jahren seines Lebens beschloss Rolf Viva, sich aus dem Kunstbetrieb zurückzuziehen. Diese Wahl wurde aus zwei Gründen getroffen: ein bewusster Angriff auf die Kunstwelt und ihre ekelhaften Egos und eine Taktik, sich selbst als Schöpfer wiederzufinden.

Um seine Geste zu verstehen, muss man sich die Frage stellen: Warum schaffen wir? Der Geschichte zuliebe? Weil wir wollen, dass sich jemand an uns erinnert? Um zur Debatte beizutragen? Um die Gesellschaft zu verändern? Um glücklich zu sein?

Nachdem er seine Jugend damit verbrachte an der Seite linksextremer Bewegungen zu kämpfen wie auch, in seinen späteren Jahren, diese Bewegungen zu kritisieren, beschloss Viva, sich aus der Debatte zurückzuziehen, weil er glaubte, dass die Kunst vor allem ein Mittel zum Verständnis der Welt sei. Eine Lupe. Und damit eine Lupe wirksam sein kann, muss sie von Händen gehalten werden, die nicht zittern. Hände ohne Ideologien. Hände, die bereit sind, enttäuscht zu sein von dem, was sie enthüllen könnten.

Rolf Viva entschied sich dafür, seine letzten Jahre in seinem Haus in Frankreich zu verbringen um zu schaffen. Zu schreiben. Zu zeichnen. Glücklich zu sein. Versuchen zu sehen.

Wir danken der Stadt Trier und der Kulturstiftung der Sparkasse Trier